Geschichte aufarbeiten und Unrecht sichtbar machen
Mainz/Allerheiligen/Bad Nauheim/Münster. Die Caritas im Bistum Mainz hat am Dienstag eine Studie zu seinen früheren Kinderkurheimen in Allerheiligen/Schwarzwald und im hessischen Bad Nauheim vorgestellt. "Wir arbeiten Geschichte auf und machen Unrechtsichtbar", sagte Diözesancaritasdirektorin Nicola Adick in Mainz. "Die meisten Kinder haben in den beiden Einrichtungen keine erholsame Zeit verbracht, im Gegenteil. Sie sind kontrolliert, eingeschüchtert und gedemütigt worden. Manche waren Gewalt ausgeliefert. Dafür übernehmen wir die Verantwortung. Nur wenn wir uns unserer Vergangenheit stellen, können wir die Zukunft gestalten.
"Vorgelegt wurde die Studie "Aufarbeitung und Dokumentation" vom Büro für Erinnerungskulturin Babenhausen. Der Historiker Holger Köhn hatte dafür ein Jahr lang in verschiedenen Archiven recherchiert. Auf einen Aufruf hin hatten sich außerdem 20 ehemalige Kurkinder aus St. Josef und Allerheiligen gemeldet und sich für Interviews bereit erklärt. Ihre Zitate stehen bewusst am Anfang der Studie. Erst dann geht diese mit Bildern und Fakten auf die Geschichte der Einrichtungen ein. Laut den Recherchen waren insgesamt rund 15.000 Kinder in der Kinderheilstätte Bad Nauheim. In Allerheiligen dürften es mehr als 20.000 Kinder gewesen sein. Sie stammten aus verschiedenen Teilen Deutschlands, viele aus dem Gebiet des Bistums Mainz und aus der Region Westfalen-Lippe.
Verantwortlich für die beiden Kinderkurheime waren Caritas-Führungskräfte, die in der Regelzugleich Geistliche des Bistums Mainz waren; teils waren Ordensmitglieder vor Ort zuständig. "Auch als Bistum Mainz übernehmen wir Verantwortung", sagte Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars. "Ich begrüße diese Studie der Caritas sehr. Sie ist ein weiterer Schritt auf unserem gemeinsamen Weg. Wir schauen auf das Gestern und lernen für das Heute. Schon die Aufarbeitungsstudie "EVV - Erfahren. Verstehen. Vorsorgen", die das Bistum Mainz in Auftrag gegeben hat, hat uns gezeigt, dass kein Mensch auf ein Podest gehört. Stattdessen brauchen wir ein umfassendes Complianceverständnis, eine Kultur der Achtsamkeit mit transparentem Handeln auf allen Ebenen."
Stefan Wink, Bereichsleiter und Interventionsbeauftragter beim Caritasverband für die Diözese Mainz, machte deutlich, wie sich der Blick auf Kinder, Jugendliche und Schutzbedürftige seit der Zeit der Kinderkuren verändert hat. "Wir unterstützen sie in ihrer Entwicklung - hin zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten mit Gemeinsinn. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bauen heute auf moderne Schutzkonzepte und fördern die Partizipation, etwa durch Kinderparlamente. Die Studie mahnt uns, in unseren Bemühungen nicht nachzulassen."
Das Kinderkurheim Allerheiligen im Schwarzwald war von 1947 bis 1978 in Trägerschaft des Caritasverbands für die Diözese Mainz e.V. Von 1926 bis 1964/68 war der Verband für die Kinderheilstätte St. Josef in Bad Nauheim in Hessen verantwortlich. Kinder und Jugendliche sollten sich dort erholen. Damit waren sie nicht alleine: Bundesweit wurden seit den 1950erJahren bis in die 1980er Jahre hinein zwischen acht und zwölf Millionen Kinder zur Erholung in solche Kureinrichtungen geschickt und haben ebenfalls Leid erfahren.
"Ich danke allen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die zu dieser Studie beigetragen haben", sagte Diözesancaritasdirektorin Nicola Adick. "Ohne ihre mutige Beteiligung wäre diese Aufarbeitung nicht möglich gewesen. Ihnen ist sie ausdrücklich gewidmet."