#SeigutMensch in Zeiten von Corona
Sei gut, Mensch! - sei Gutmensch! Immer wieder, so auch in diesem besonderen Jahr 2020, gelingt es dem Deutschen Caritasverband mit seiner Jahreskampagne in bewusst doppeldeutiger Weise zum Nachdenken anzuregen - und wohl auch zum Stolpern.
Sei gut, Mensch! Das ist ein Wunsch, eine Hoffnung, ein Anspruch und eine Aufforderung, die untrennbar verbunden ist mit unserem Auftrag als Christen und Christinnen. Sei gut Mensch -, das heißt: Sei in guter Weise Mensch, menschlich, human. Sei dir deiner Würde und Bestimmung bewusst. Lebe nach den Werten, die unsere Gesellschaft am Leben erhalten und zum Guten führen. Selten war diese Aufforderung auch jenseits des kirchlichen Kontextes so wichtig wie in diesem Jahr, in dem uns die Coronakrise auf vielfältige Weise herausfordert, zusammenzustehen, füreinander einzustehen und in besonderer Weise nicht nur für sich selbst, sondern auch füreinander gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. "Sei gut, Mensch!" bedeutet für mich in Anlehnung an das Gespräch zwischen Jesus und dem Pharisärer im Lukasevangelium: Sei gut zu dir selbst, zu deinem Nächsten und zu Gott. Für mich ist das der biblische Anspruch für ein gelingendes Leben.
Sei Gutmensch! Damit kommen eine Nuancierung und ein anderer Ton mit ins Spiel. "Gutmensch" ist ein schillerndes Wort, das uns nicht so gefällig über die Lippen geht. Will ich ein Gutmensch sein - wenn der Begriff derzeit doch fast immer abwertend gebraucht wird? Der Gutmensch wird dabei verstanden als ein unkritischer, weltfremder Traumtänzer, ein politisch korrekter Weltverbesserer.
"Gutmensch" ist in manchen Kreisen auch zum politischen Kampfbegriff, ja eigentlich fast so etwas wie ein "Schimpf-Etikett" geworden. Damit will man bewusst Menschen auf einer sehr emotionalen Ebene treffen und sich der Auseinandersetzung mit Inhalten entziehen.
Indem die Caritas-Jahreskampagne 2020 dieses ambivalente Etikett aufgreift, provoziert sie eine kritische Auseinandersetzung, die mehr denn je notwendig ist: "Sei gut, Mensch!" bildet den Abschluss einer mehrjährigen Initiative für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie ruft zum solidarischen Handeln auf und macht Menschen Mut, sich für andere einzusetzen. Zugleich setzt sie sich auch klar gegen eine Vereinnahmung des Begriffs "Gutmensch" durch rechten Populismus ein.
Die Kampagne formuliert sozialpolitische Forderungen an Politik und Gesellschaft, aber auch an die Caritas selbst. Dabei geht es z.B. um Fragen, wie Ressourcen solidarischen Handelns gestärkt, Freiräume bürgerschaftlichen Engagements geschaffen und weltweite Solidarität gelebt werden können.
Angesichts der Corona-Pandemie und ihrer Folgen für das alltägliche Zusammenleben stellt sich mehr denn je die Frage, was es braucht, um Zusammenhalt und solidarisches Handeln zu stärken. Denn die Pandemie ist noch nicht vorbei und die Folgen werden unsere Gesellschaft noch für Jahre prägen. Gerade auch die auf uns zukommende "Krise nach der Krise" werden wir nur gemeinsam bewältigen können.
Es stellt sich die Frage: Was von den Erkenntnissen der letzten Wochen und Monate, vor allem auch von geglückten Erfahrungen können wir uns bewahren für die Zeit nach Corona? Und wo müssen wir ran, welche Erfordernisse werden sichtbar, die guten Gewissens nicht ignoriert werden dürfen. Darüber braucht es jetzt den Diskurs, denn jetzt sind uns die Erfahrungen noch frisch und unmittelbar präsent. Waren wir in den vergangenen Wochen gezwungen, "auf Sicht zu fahren" - wie man oft hören konnte - und einen Schritt nach dem anderen zu gehen, so braucht es jetzt den vorausschauenden Weitblick, um die Folgen der Krise gut meistern zu können.
Ein Blick auf die Website #SeigutMensch in Zeiten von Corona (www.caritas-bistum-mainz.de/corona/seigutmensch) zeigt, wie viele Menschen sich Gedanken um ihre Mitmenschen machen und die Frage nach dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft auf ganz praktische Weise beantworten: Durch viele kreative und solidarische Initiativen und Hilfen von Mensch zu Mensch.
Ich habe in den vergangenen Wochen immer wieder festgestellt: Die Krise offenbart wie in einem Brennglas verstärkt, was sowieso ist: Was gut ist, entfaltet jetzt seine ganze Kraft. Was problematisch ist, ist jetzt noch problematischer.
Corona führt uns schonungslos und ungefragt vor Augen, wo Zusammenhalt ganz besonders Not tut,
- wenn z.B. unsere alten Menschen in den Seniorenheimen plötzlich abgeschnitten sind von bisher selbstverständlichen lebensnotwendigen Kontakten.
- wenn es gilt, Möglichkeiten und Formen der Nähe und Zuwendung und des sich gegenseitigen Tragens zu entwickeln, weil "Abstand" und "social distancing" gefordert sind.
- wenn wir erleben, dass Menschen und das, was sie brauchen, noch mehr als bisher schon aus dem Blick zu geraten drohen, weil Kinder oder auch Erwachsene, die zu Hause Gewalt ausgesetzt sind, durch die Krise ihr Netz verloren haben.
- wenn wir erfahren müssen, dass Gerechtigkeit nicht von selbst passiert, sondern unseren Einsatz braucht: für Menschen mit unterschiedlichen Start- und Lebensbedingungen, zwischen den Gewinnern und Verlierern in der jetzigen Situation, für Menschen hier und anderswo auf der Welt.
Den vielen Menschen, die sich hier Gedanken gemacht haben, bin ich dankbar für gute Antworten auf die Fragen und Herausforderungen dieser besonderen Zeit. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Caritas und Seelsorge und den vielen, vielen ehrenamtlich Engagierten, die den Lockdown nicht als Signal genommen haben, die Hände in den Schoß zu legen und Pause zu machen, sondern im Gegenteil kreativ mit dem umgehen, was in dieser Situation doch noch möglich ist. Menschen, die mit wachem Blick wahrnehmen, wo es in ihrem Umfeld Menschen gibt, die Hilfe brauchen. Zahlreiche gute und sinnvolle Ideen finde ich - nicht nur auf der Homepage von Caritasverband und Bistum, sondern auch in den Erzählungen und Rückmeldungen aus den Pfarreien, wo Caritas und Seelsorge gemeinsam für die Menschen da sind, in dieser besonderen Zeit.
Es sind Ideen und Erzählungen, die mich beeindruckt haben, weil sie zeigen, wie wichtig es ist, gut zu sein. Wie wichtig es ist, nicht nur in der Krise, sondern ganz und gar darauf zu setzen, gut zu sein - ein Gutmensch zu sein, im positiven Sinn. Und ich wünsche mir viele Menschen, die sich darauf einlassen können, solche Gutmenschen zu sein. Sei gut, Mensch!
Mainz, im Juni 2020
Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz
Generalvikar