Diözese
Mainz. – Vom Arbeitgeber oder – wie es bei der Caritas heißt – Dienstgeber
ermöglichte Weiterbildungsangebote sind ein Gewinn für die teilnehmenden
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das liegt auf der Hand. Sie können aber auch
zu erheblichen und nachhaltigen Verbesserungen in den Diensten und Angeboten
des Dienstgebers selbst führen – insbesondere dann, wenn dieser interessiert
und offen ist für die neuen Erkenntnisse, die sich seine Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter bei der Weiterbildung aneignen. Beim Caritasverband für die Diözese
Mainz wurde das jetzt bei einer Fachtagung auf dem Jakobsberg bei Bingen eindrucksvoll
vorgestellt.
Sechzehn
Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben an einer vom Caritasverband für die
Diözese Mainz angebotenen zweijährigen berufsbegleitende Fortbildung zur gerontopsychiatrischen
Fachkraft teilgenommen. Die meisten sind bei Caritas-Einrichtungen in der
Altenpflege tätig. Im Rahmen der Abschlusstagung auf dem Jakobsberg konnte
Kursleiter Heribert Gabel ihnen allen ihre erfolgreiche Teilnahme mit einem
Zertifikat bestätigen. Im Laufe des Kurses haben sie sich in jeweils
mehrtägigen, von unterschiedlichen Dozentinnen und Dozenten geleiteten
Arbeitseinheiten mit allen Bereichen der Gerontopsychiatrie beschäftigt. Jede
Teilnehmerin und jeder Teilnehmer hat im Rahmen der Fortbildung - begleitet von
der Diplom-Sozialgerontologin Gabriele Scholz-Weinrich, Bad Nauheim, ein
Projekt zur Verbesserung des Umgangs mit altersverwirrten oder demenzkranken
Menschen entworfen und nahe des eigenen Arbeitsbereiches umgesetzt. Dabei sind
zum Teil beachtliche und nachhaltige Verbesserungen entwickelt und erprobt
worden, wie eine Präsentation im Rahmen der Tagung darstellte. Beispielhaft
vorgestellt wurden fünf Projekte: zwei aus dem Caritasheim in Bensheim und je eines
aus dem Caritaszentrum in Offenbach, dem St. Josefsstift in Mainz und dem
Caritas-Zentrum St. Alban in Bodenheim. Weitere Projektergebnisse wurden in
einem „Markt der Möglichkeiten“ vorgestellt.
Anteil
demenzkranker Menschen wächst
Einerseits
nimmt nach der Bevölkerungsentwicklung unserer Gesellschaft der Anteil älterer
Menschen mit Demenz-Erkrankungen stetig zu. Andererseits ist der Umgang mit
ihnen ein weites Feld, auf dem es noch viele neue Erfahrungen zu machen gilt, umriss
zu Beginn der Tagung Birgitta Neumann von der Alzheimergesellschaft Brandenburg,
Potsdam, die Situation. Demenzkranke Menschen leben zunehmend emotional in der
Vergangenheit ihrer Lebensgeschichte. Das muss man im Umgang mit ihnen ernst
nehmen. Während des Praxisteils der Weiterbildung hat man sich auf zwei
Eckpunkte konzentriert: Den betroffenen Menschen viel Gelegenheit geben, auf
das bisherige Leben zurück zu schauen und dabei den Tag so strukturieren, dass
er sich an den Bedürfnissen und verbliebenen Fähigkeiten der demenzkranken
Menschen orientiert und deshalb von ihnen als angenehm und lebenswert empfunden
werden kann. Allen Projekten war gemeinsam, dass zu jedem der betreuten
Menschen ein Biografiebogen angelegt wurde, in den alle bekannt gewordenen
Eckpunkte ihres Lebens eingetragen wurden. Der bleibt unter Verschluss und
dient dem Pflegepersonal als Hilfe im Umgang mit ihnen. In der Tagesstrukturierung
gilt es, immer wieder Erlebnisfelder zu schaffen, in denen sich die demenzkranken
Menschen wiederfinden.
Offenbach:
Erinnerungsmobil aufgebaut
Barbara
Lippmann betreut im Caritas-Altenzentrum Offenbach eine Gruppe von zwölf
Bewohnern. Im Rahmen ihres Projektes hat sie ein Lebens- und Erinnerungs-Mobil
aufgebaut, einen Wagen, auf dem sich eine Vielzahl von Gegenständen aus der Vergangenheit
der Bewohner findet. Den nimmt sie mit Erfolg immer wieder zum Anlass, mit den
Menschen über ihr Leben und ihre Geschichte zu sprechen. Daneben hat sie eine
Reihe von Mappen mit einfachen Bildern zu verschiedenen Themen wie Kinder, alte
Möbelstücke, Freizeit und Urlaub zusammengestellt, in denen die alten Menschen
immer wieder gerne blättern, weil dadurch alte Erinnerungen geweckt werden.
Schließlich hat sie einige „Kisten“ zusammengestellt, in denen sich alles
findet, was man beispielsweise zum Kochen, zum Backen oder zum Blumenpflanzen
braucht. Entsprechend lädt sie abwechselnd dazu ein, miteinander zu kochen, zu
backen oder eine Blumenpflanz-Aktion zu machen. Die meisten der demenzkranken
Menschen machen da gerne mit – und auch ihre Angehörigen sind begeistert und
engagiert bei der Sache.
Bensheim:
„Lebensbücher“ gestalten und betrachten
Dass
veränderter Umgang mit demenzkranken Menschen auch deren Verhältnis zu ihren
Angehörigen positiv verändert, wird als durchgehende Erfahrung aller Projekte berichtet.
Ursula Schmidt vom Caritasheim St. Elisabeth in Bensheim macht ganz stark diese
Erfahrung. Sie gestaltet mit den Angehörigen der von ihr betreuten Gruppe demenzkranker
Menschen „Lebensbücher“, in denen Begebenheiten und Erlebnisse der
Vergangenheit der Bewohner festgehalten und so weit wie möglich mit
eingeklebten Fotos illustriert werden. Die Angehörigen, die überdies etwa vier
mal pro Jahr zu einem gut besuchten Angehörigenabend eingeladen werden,
unterstützen das stark, erleben sie doch bei der gemeinsamen Beschäftigung mit
den „Lebensbüchern“, wie ihre bis dato als störrisch und eigensinnig
empfundenen demenzkranken Angehörigen auftauen und vieles aus ihrem Leben, aus
ihrer Vergangenheit erzählen. Die Gestaltung der Lebensbücher wird so zugleich
zum Gesprächskatalysator zwischen den Generationen.
Mainz:
Mit Sinneswagen auch zu bettlägerigen Bewohnern
Einen
Sinneswagen aufgebaut hat Beate Breitkopf, Pflegedienstleiterin im St. Josefsstift
in Mainz. Zusammengestellt hat sie Stoffe und Gegenstände, die befühlt werden
können, unterschiedliche Aromen, die man riechen, Proben, die man verschmecken
kann und schließlich Töne zum Hören, darunter Melodien, Schlager und Lieder aus
den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Mit dem Wagen
kann sie insbesondere bettlägerige Bewohner besuchen. Die meisten reagieren
sehr positiv auf die Anregungen und die Abwechselung, die der Wagen in ihr
Leben bringt, und er wird so ebenfalls zum Katalysator für Gespräche. Längst hat
Beate Breitkopf auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in das Projekt
einbezogen, die genau so wie die Angehörigen gute Erfahrungen damit machen.
Bodenheim:
„Vergiss mein nicht“ entlastet auch Angehörige
Einen
Tag pro Woche macht Margit Wohn-Ullrich, Mitarbeiterin der Sozialstation, im Altenzentrum
St. Alban in Bodenheim ein Angebot für demenzkranke Menschen, die teils im
Altenzentrum wohnen, teils zur ambulanten Betreuung für diesen Tag gebracht werden.
„Vergiss mein nicht“ wird das Projekt genannt, das insbesondere die pflegenden
Angehörigen einmal pro Woche für einen Tag entlasten soll. Unter Mithilfe von
Angehörigen und aus der Bevölkerung wurde ein Raum mit alten Möbeln und Bildern
im Stil vergangener Jahrzehnte zur „Guten Stube“ gestaltet. In dieser vertrauten
Umgebung halten sich die alten Menschen gerne auf. Der Tag beginnt mit einem
Frühstück. Zusammen bereitet man das Mittagessen und auch den Nachmittagskaffee
zu, wobei die anstehenden Arbeiten verteilt und durchaus mit Spaß von den alten
Menschen verrichtet werden. Das fördert und stärkt zugleich ihr
Selbstwertgefühl.
Bensheim:
Viel Freiraum in „Tagespflege“
Seit
zehn Jahren bereits besteht beim Caritasheim St. Elisabeth in Bensheim eine „Tagespflege“,
in der die Gäste, unter ihnen nicht wenige demenzkranke Menschen, ambulant
betreut werden. Dort arbeitet Christa Will. Auch sie hat beste Erfahrungen mit
der Einrichtung gemütlicher Ecken mit alten Möbeln in dem nüchternen
Neubautrakt gemacht, der die „Tagespflege“ beherbergt. Menschen, die vorher sehr
unruhig waren und wegzulaufen drohten, fühlen sich in diesen Ecken heimelig und
geborgen. Sie kommen zur Ruhe und verweilen dort gern. Demenzkranke Menschen
müssen die Möglichkeit haben, sich zu beschäftigen, ohne „gestört“ zu werden.
Entsprechend finden sich Materialien und Werkzeuge in verschiedenen Ecken des
Tagespflege-Bereiches; unter anderem steht ein voll bestückter Nähkasten
bereit. Auch in Bensheim wird zuweilen gemeinsam gekocht oder gebacken. Durch
Büsche und Pflanzen abgeschlossen gestaltet, wurde auch der Außenbereich der
Tagespflege für die Demenzkranken zugänglich. Dort befindet sich auch ein
Hochbeet, das die alten Menschen teils sogar mit Hingabe bepflanzen und hegen.
Feststellbar ist, dass sich die Gäste während der Stunden in der Tagespflege
angenommen und wohl fühlen, was von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie
von den Angehörigen positiv erlebt wird.
Anforderungen
aus der Praxis standen Pate
Die
Weiterbildung, so Abteilungsleiter Peter Krafft zu ihrem Abschluss, ist aus
Anforderungen aus der Praxis entstanden. „Leidensdruck gab letztlich den Impuls
zu diesem Weiterbildungsangebot zur gerontopsychiatrischen Fachkraft“, das
nicht zuletzt durch die hohe Motivation und das Engagement der Teilnehmerinnen
und Teilnehmer dazu geführt hat, dass man in vielen Einrichtungen der Caritas
in der Diözese Mainz im Umgang mit demenzkranken Menschen ein gutes Stück
weitergekommen ist – zum Wohl der Betroffenen, ihrer Angehörigen und der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege. Am erfolgreichsten freilich,
stellte Krafft fest, seien die Projekte dort gewesen, wo sie von den
Heimleitungen aktiv und dialogbereit mitgetragen worden sind.
J. Otto Weber