Darmstadt
/ Dieburg. – Auch in Darmstadt und Dieburg gibt es künftig für Frauen, die sich
durch die bevorstehende Geburt eines Kindes in verzweifelter Situation
befinden, das Angebot zur vertraulichen oder anonymen Geburt. Möglich macht das
das Projekt „Lucina“, das der Caritasverband Darmstadt in Kooperation mit dem
Marienhospital Darmstadt und dem St. Rochus-Krankenhaus Dieburg ins Leben
gerufen hat. Unter der Notruftelefonnummer 01805 – 888 776 finden Frauen rund
um die Uhr und sieben Tage lang einen Ansprechpartner, der weiterhilft.
Fachkräfte des Caritasverbandes Darmstadt beraten und begleiten dann die
betreffende Frau. Wenn es ihr unbedingter Wille ist, besteht in den beiden Krankenhäusern
die Möglichkeit, das Kind zur Welt zu bringen, ohne dass sie ihre Identität
preisgeben muss.
„Wir
stehen vor einem Dilemma“, sagte der Darmstädter Caritasdirektor Dr. Werner
Veith bei der Vorstellung des neuen Projektes am 11. Mai, dem Tag der heiligen
Lucina, in Darmstadt: „Einerseits müssen wir das neue Angebot bekannt machen,
andererseits wollen wir es keineswegs bewerben“. Alle Beteiligten wüssten, dass
sie sich in einer rechtlichen Grauzone befänden. Auf der einen Seite steht das
Recht eines Kindes auf Wissen um seine Herkunft, dem gegenüber stehe das Recht
des selben Kindes auf Leben. Wenn beide Rechte nicht eingelöst werden könnten,
dann wolle man mit dem Projekt Lucina dem Recht auf Leben den Vorzug geben.
Veith
erinnerte an drei tragische Ereignisse aus jüngerer Vergangenheit, die das Projekt
künftig vermeiden helfen wolle: In Reinheim wurde ein Kind unmittelbar nach der
Geburt auf einem Parkplatz ausgesetzt und starb. Bei Münster nahe Dieburg wurde
ein Neugeborenes tot in einer Ackerfurche gefunden. In Groß-Gerau hat eine
verzweifelte Mutter ihr Kind nach der Geburt aus Verzweiflung aus dem Fenster
einer Toilette geworfen.
Ausschlaggebend
für solche Verzweiflungstaten sei häufig, das die betroffenen Frauen niemanden
kennen, mit der oder dem sie über ihre Ausweg los erscheinende Situation reden
könnten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstellen der Caritas
in Darmstadt, Dieburg und Erbach stehen ihnen zu den üblichen Zeiten zur
Erstberatung am Telefon zur Verfügung, sagte Veith. Durch Kooperation mit der
Darmstädter Telefonseelsorge sei im Rahmen des Projektes Lucina sichergestellt,
dass an sieben Tagen rund um die Uhr Beratung und Begleitung organisiert werden
könne. Im Gespräch, das selbstverständlich vertraulich ist und bleibt, würden
Wege für die Zukunft von Mutter und Kind ausgelotet. Respektiert werde dabei
auch, wenn die Frau trotz aller Hilfe ihre Identität nicht preisgeben möchte.
Die beiden katholischen Krankenhäuser, das Marienhospital in Darmstadt und das
St. Rochus-Krankenhaus in Dieburg, seien bereit, medizinisch betreute Geburten auch
vertraulich oder anonym durchzuführen. Die Frau werde so lange behandelt, wie
es medizinisch geboten ist. Das Kind bleibe mindestens acht Wochen im
Krankenhaus. So lange habe die Frau auch Zeit, sich doch noch zur Annahme zu
entscheiden. Anschließend werde dann nach einer Adoptionsfamilie gesucht.
Veith
betonte, die notwendigen Verfahren seien mit den verschiedensten Behörden und
Ämtern abgesprochen, die sich alle kooperationsbereit gezeigt hätten. Er nannte
unter anderen das Jugendamt, den Sozialdienst, die Adoptionsvermittlungsstelle,
das Standesamt und das Rechtsamt der Stadt Darmstadt und des Landkreises
Darmstadt-Dieburg.
Ungeborenes
Leben zu schützen und Frauen Mut zum Leben zu machen, nannte Schwester Liberata
Ricker von der Krankenhausleitung des Marienhospitals als Motiv des Mitwirkens
an dem Projekt. Bei glatter ambulanter Geburt könne die Mutter bereits nach
wenigen Stunden das Krankenhaus wieder verlassen. Schwester Liberata dankte
zugleich den Ärzten und dem Pflegepersonal für ihre Kooperationsbereitschaft.
Beim
St. Rochus-Krankenhaus in Dieburg habe man sich bereits seit dem ersten der
erwähnten tragischen Fälle zu Tode gekommener Neugeborener Gedanken um eine
anonyme Geburt gemacht, berichtete dessen Verwaltungsleiter Hartmut Gediga. Wegen
der schwierigen gesetzlichen Lage habe man den Caritasverband Darmstadt um
Hilfe gebeten, der dann im Gespräch mit den verschiedenen Ämtern und Behörden
den jetzt eingeschlagenen Weg gefunden habe.
Gudrun
Schneider, Leiterin der Allgemeinen Lebensberatung des Caritasverbandes
Darmstadt, stellte die einzelnen Stationen der Hilfen für Mutter und Kind noch
einmal in Einzelheiten dar. Ideal sei es, wenn man im Laufe der Beratungen
einen Weg für Mutter und Kind finden könne. Wenn aber die Frauen die Anonymität,
die ihnen zugesichert werde, nicht aufzugeben bereit seien, müsse das
respektiert werden und werde das respektiert. Von der Politik forderte sie, auf
eine Gesellschaft hinzuarbeiten, die das Prädikat „Kinder- und
Familien-freundlich“ verdiene. Das bedeute unter anderem: für eine materielle
Absicherung und ausreichenden Wohnraum zu sorgen, Arbeits- und
Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, Kinderbetreuungsangebote einzurichten,
Beratungsstellen für unterschiedliche Lebenslagen anzubieten und die Situation
von Migrantinnen stärker zu berücksichtigen.
Das
Projekt Lucina entstand im Rahmen von Netzwerk Leben, der von Kardinal Lehmann
im Jahr 2000 ins Leben gerufenen Initiative zur Hilfe für Frauen und Familien
in Not durch ungewollte Schwangerschaft. Zur finanziellen Absicherung des
Projektes überreichte Stiftungsdirektor Wilhelm Schulze einen Scheck über 2.500
Euro aus der „Netzwerk Leben Stiftung“, einer Zustiftung unter dem Dach der
Wilhelm Emmanuel von Ketteler-Stiftung.
In
den letzten zehn Jahren seien etwa fünf bis sechs Todesfälle von Neugeborenen
durch Verzweiflungstaten ihrer Mütter bekannt geworden, zitierte
Verwaltungsleiter Gediga den Leiter des Kreisjugendamtes Darmstadt-Dieburg.
„Sollte künftig auch nur ein Kind gerettet werden, haben sich die Anstrengungen
für alle Beteiligten gelohnt“, so Caritasdirektor Veith zum neuen Projekt.
Dessen Namensgeberin Lucina ist in der katholischen Kirche übrigens die
Heilige, „die den Neugeborenen bei der Geburt ihre Augen öffnet und so Sehkraft
und innere Erleuchtung schenkt“.
J. Otto Weber
Kontakt:
Telefonnotruf
rund um die Uhr: 01805 – 888 776
Caritasverband
in Darmstadt Fon: 06151 / 999-0
Caritasverband
in Dieburg Fon: 06071 / 9866-0
Caritasverband in Erbach Fon: 06062 / 910829