Rheinland-Pfalz. - Familie
ist ein zentrales Thema für jeden einzelnen Menschen - aber auch für Kirche und
Gesellschaft. Noch immer ist für rund 90 Prozent der Befragten Familie die vorrangig
gewünschte Lebensform und ein Synonym für Geborgenheit. So war es nahe liegend,
dass sich die Arbeitsgemeinschaft der Caritasverbände Rheinland-Pfalz bei ihrem
Kongress in Ludwigshafen mit dem Thema „Fokus Familie“ auseinander setzte. Rund
280 ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Caritasverbände der Diözesen Trier, Speyer, Mainz, Limburg und Köln konnten
sich bei Fachvorträgen, in Workshops und bei der Präsentation von insgesamt 14
Praxisprojekten selbst ein Bild über die Situation der Familien machen.
Weihbischof Otto Georgens
machte in seinem Grußwort deutlich, dass das Thema zwar jeden anspreche, aber
ganz unterschiedlich bewertet werde: „Familie wird idealisiert oder
verteufelt“. Er betrachtete die Familie als Lernort des Lebens und des
Glaubens. Da die eigenen Erfahrungen einen Menschen ebenso prägen wie das
Erleben von Höhen und Tiefen, von Krankheit, Sorgen, Streit und Versöhnung,
erachten auch heute 83 Prozent aller Befragten die Familie als wichtig, weitere
14 Prozent als ziemlich wichtig. Das mache Familie zum Lernort des Lebens. Lernort
des Glaubens werde sie, wenn Kinder Beziehungen und Vertrauen an der Hand der
Eltern erfahren, wenn sie sich angenommen fühlen und dadurch zu sich, zu
anderen und zu Gott Ja sagen können.
Malu Dreyer: Mut zur Familie
machen
Malu Dreyer, Ministerin für
Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familien und Frauen, bezeichnete in ihrem
Grußwort als wesentliche Aufgabe, jungen Menschen Mut und Lust auf Familie zu
machen. Familienpolitik müsse darauf achten, dass sie für alle Generationen
gemacht werde, um einem Generationenkonflikt vorzubeugen. Förderung von
Familien sei nicht nur Aufgabe von Politik und Gesellschaft, sondern auch der
Kirchen. Hier lobte die Sozialministerin ausdrücklich die gute Zusammenarbeit
zwischen Staat und freien Trägern, vor allem der Caritas, die durch ihre
soziale Nähe zu den Menschen mehr Vertrauen genieße als staatliche oder kommunale
Stellen.
Ergebnisse der Hirnforschung
zur Bedeutung der Familie stellte Professor Gerald Hüther von der Universität
Göttingen dar. Er wies auf den engen Zusammenhang von Denkprozessen und
Gefühlen hin. Das Lernen des Kindes beschrieb er als einen in hohem Maß
emotionalen Prozess. „An jeder Handlung, an jedem Denkakt hängt ein Gefühl“, so
Hüther. Um Einstellungen und Überzeugungen zu ändern, müssten daher neue
Erfahrungsräume geschaffen werden. Der Mensch könne nur in liebevollen
Beziehungen über sich hinaus wachsen. „Unsere Gesellschaft hat keine Zukunft,
wenn man Geist, Liebe und Sinn aus der Welt heraus getrieben hat.“
Die Bedeutung der Familie
für einen Säugling, ein Kind und auch die Fähigkeit, selbst einmal Familie zu
leben, erforscht seit vielen Jahren Dr. Karin Grossmann, die als freie
Wissenschaftlerin an der Universität Regensburg arbeitet. Liebevolles Kümmern
und Versorgen durch mindestens eine Vertrauensperson, Unterstützung im
Experimentieren und Lernen, und das durch Mutter und Vater, sind nach ihren
Ausführungen Grundpfeiler einer gelungenen Entwicklung. Wertschätzung und
Unterstützung sowie Freundschaften sind ebenso maßgeblich daran beteiligt, ob
ein Kind zu einem psychisch sicheren Menschen heranwächst, der ebenso wieder
eine hohe Wertschätzung für Bindungen entwickelt. Wenn ein Mensch seine eigene
Kindheit und Familie positiv erlebt hat, könne er diese Erfahrung auch weitergeben.
Junglas: Familien sind
unterfördert
Mario Junglas, Direktor des
Berliner Büros des Deutschen Caritasverbands, referierte engagiert, wie eine
erfolgreiche Familienpolitik aussehen muss. Dazu betonte der die Wichtigkeit
von Familie in der Gesellschaft, die viele Funktionen übernimmt, die andere
nicht übernehmen können. „Man kann vieles außerhalb der Familie theoretisch
lernen, aber nur in der Familie üben und erleben“, so Junglas. Das Erschrecken
über das angebliche Versagen von Familie und das Gefühl, Kinder zu haben sei belastend,
sei nirgendwo in Europa so groß wie in Deutschland, kritisierte er. Allerdings
widersprach er der Behauptung, Familien könnten ihren Aufgaben heute nicht mehr
gerecht werden. „Familien sind nicht überfordert, sondern unterfördert“, so
seine These.
Erfolgreiche Politik muss
aus seiner Sicht Familien stärken, damit sie als Leistungsträger ihre Aufgabe
erfüllen kann. Sie brauche die gleiche Unterstützung wie alle Leistungsträger
der Gesellschaft. Zeit sei für Familien die wichtigste Ressource, um ihrer
Aufgabe gerecht zu werden. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf gebe es viele punktuelle Angebote, „aber die müssen zum Standard werden“.
Familie brauche Geld, um zumindest das Existenzminimum der Kinder zu sichern.
Auch hier gebe es zahlreiche Ansätze, die jedoch auch umgesetzt werden müssten,
ohne dass Familien das Gefühl gegeben werde, nur Leistungsempfänger zu sein.
Junglas forderte ein Umdenken in Wirtschaft und Politik. Familienpolitik sei
etwas anderes, als die Familien an die Bedürfnisse der Arbeitswelt anzupassen.
Veranstaltet wurde der
Kongress „Fokus Familie“ von der Arbeitsgemeinschaft der Caritasverbände
Rheinland-Pfalz. Sie ist ein Zusammenschluss der Diözesan-Caritasverbände
Trier, Speyer, Mainz, Limburg und Köln und vertritt die gemeinsamen politischen
Interessen der Diözesan-Caritasverbände in Rheinland-Pfalz.
Brigitte Deiters / Markus Herr