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Rheinland-Pfalz / Mainz. – Mit der Einrichtung der ersten 81 von 300 bis 2006 geplanten Ganztagsschulen hat in Rheinland-Pfalz ein neues Kapitel der Schulgeschichte begonnen. Ganztagsschule bedeutet weder Ausdehnung des Vormittagsunterrichtes auf den Nachmittag noch Ergänzung des Vormittagsunterrichts durch Freizeitbeschäftigung am Nachmittag. Ganztagsschule beinhaltet vielmehr einen neuen und ganzheitlichen Erziehungsauftrag, dem sich die Schule stellen muss und in den die Wohlfahrtsverbände vielfältige Erfahrungen einbringen können, die sie in jahrelanger Jugendhilfe-Arbeit erworben haben. Bei einer Fachtagung der Liga der Wohlfahrtsverbände zusammen mit dem Institut für Lehrerfort- und Weiterbildung am 5. September in Mainz, an der auch die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen teilnahm, wurde breite Kooperationsbereitschaft zwischen Schule und Jugendhilfe deutlich.
Die LIGA der Wohlfahrtsverbände, wozu die Caritas, die Diakonie, die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz und der Paritätische Wohlfahrtsverband gehören, ist einer der großen außerschulischen Partner des Landes und der Schulen in Rheinland-Pfalz. „Wir möchten unsere Erfahrungen und Kompetenzen, die wir durch unsere langjährigen Erfahrungen in der Kinder- und Jugendarbeit gewonnen haben, in die Schulen einbringen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der LIGA-Kommission „Kinder-, Jugend- und Familienhilfe“, Bernd Wehrum. „Andererseits sind wir sicher“, so Bernd Wehrum für die LIGA, „dass die Jugendhilfe für die Öffnung der Schule und für neue Lernformen und -inhalte viel zu bieten hat“. So gibt es auf der Grundlage eines unterzeichneten Rahmenvertrages zwischen dem Land und der LIGA bereits eine Reihe von Verträgen örtlicher Verbände mit den jeweiligen Schulen. Das Spektrum der Angebote ist dabei sehr umfangreich. Es umfasst Hausaufgabenhilfen, soziale Gruppenarbeit, Gewaltprävention, Theater- und Erlebnispädagogik, Erste Hilfe- und Streitschlichter-Kurse genau so wie Stadtteilerkundungen, Mädchenwerkstätten, Zeitreisen, Klanggeschichten und vieles mehr.
Bildungsministerin Ahnen betonte, dass es bei der Ganztagsschule im Kern darum gehe, dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule in neuen Formen und mit neuen Angeboten gerecht zu werden. Vor allem bildungspolitisch gebe es mit der Ganztagsschule viele Möglichkeiten, die das bisherige Schulsystem ergänzen und weiterentwickeln könnten. So können leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler bei einem erweiterten Unterrichts- und Betreuungsangebot intensiver gefördert, Arbeitsgemeinschaften mit schulischen, aber auch mit außerschulischen Zusatzangeboten ausgeweitet sowie ergänzende Angebote für besonders Begabte oder für spezifische Interessen von Kindern und Jugendlichen gemacht werden.
Das Institut für Lehrerfort- und Weiterbildung hat längst in seine Angebote auch die Sozialpädagogik und die Religionspädagogik mit einbezogen und ist sehr daran interessiert, die Kooperation mit der Jugendhilfe zu verstärken, betonte dessen Leiter, Dr. Wolfgang Hissenauer.
Im Rahmen der Fachtagung erörterte Prof. Dr. Richard Münchmeier von der Freien Universität Berlin das Spannungsfeld der unterschiedlichen Begriffe und Ansätze von Schule und Jugendhilfe. Er machte auf die Bedeutung außerschulischer Bildungsmöglichkeiten und die Kernkompetenzen der Jugendhilfe aufmerksam. Der Soziologe Dr. Waldemar Vogelsang von der Universität Trier stellte auf der Grundlage eigener empirischer Untersuchungen Bedürfnisse und Wünsche von Kindern und Jugendlichen zu ihrem Lebensalltag und ihrer Zukunftsorientierung vor und befragte diese auf ihre Bedeutung für die Bildung.
Mit dem Einstieg in die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule wurde in Rheinland-Pfalz eine Entwicklung angestoßen, die sich noch vielfältig entfalten muss. Alle bei der Tagung vertretenen Gruppierungen waren sich darin einig, dass die Ganztagsschule eine große Chance darstellt und dass man im Dialog und Austausch miteinander viel voneinander profitieren könne. Im Mittelpunkt aller Bemühungen müsse dabei immer das Kind und der Jugendliche stehen, die es in ihren cognitiven und sozialen Fähigkeiten bestmöglichst zu fördern gelte.
J. Otto Weber