17.
Juni 2011
Caritas und
Diakonie: Neukonzeption der Abschiebungshaft in Ingelheim positives Signal
Verbesserungen im Koalitionsvertrag der neuen
rheinland-pfälzischen Regierung begrüßt / Bilanz zu
Rechtshilfefonds: Inhaftierungen häufig rechtswidrig
Frankfurt am Main / Mainz.
Diakonie und Caritas begrüßen die geplanten
Vorhaben der neuen Landesregierung in Rheinland-Pfalz, die eine
Überprüfung der Haftsituation in der Abschiebungshaft in Ingelheim
vorsehen. „Die Überprüfung ist überfällig, denn
Menschen, die sich nichts anderes zuschulden kommen lassen, als in Deutschland
Zuflucht zu suchen, werden in der Abschiebungshaft in Ingelheim wie Kriminelle
festgehalten“, sagte Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender des
Diakonischen Werks in Hessen und Nassau (DWHN). Im zukünftigen
Vollzugskonzept sollten die humanitären Fragen gegenüber den
Sicherheitsaspekten an Bedeutung gewinnen, so Gern.
Domkapitular Hans-Jürgen
Eberhardt vom Vorstand des Caritasverbandes für die Diözese Mainz,
betonte, dass die Unterbringung und Betreuung in der Abschiebungshaft sich mehr
an den Bedürfnissen der Inhaftierten orientieren müsse. Eberhardt:
„Abschiebungshaft muss sich deutlich von
der Strafhaft unterscheiden.“.
Eberhardt und Gern verwiesen darauf, dass die Sozialverbände das Dialogangebot
des Koalitionsvertrages im Blick auf die Abschiebungshaft gerne aufgreifen.
„ Wir wollen den Prozess konstruktiv und kritisch begleiten“, sagte
Wolfgang Gern.
Bei der Auswertung des von
Diakonie und Caritas ermöglichten Rechtshilfefonds für die Abschiebungshaft
in Ingelheim für das Jahr 2010 fiel die Bilanz dagegen mehr als ernüchternd
aus. „Nach wie vor werden viele Migranten und Flüchtlinge
rechtswidrig bzw. rechtsfehlerhaft
in der Abschiebungshaft in Ingelheim inhaftiert“, betonte
Hans-Jürgen Eberhardt. Dies zeige sich leider häufig erst nach einer
rechtlichen Intervention, die durch den Rechtshilfefonds von Diakonie und
Caritas möglich wird, so der Domkapitular. Knapp 40 Prozent der Haftbeschlüsse
von Insassen, die durch die Rechtsberatung betreut wurden, seien fehlerhaft
gewesen, teilten DWHN und
DiCV
Mainz mit: Von den 55
Personen, deren Verfahren im Jahr 2010 bezuschusst
wurden, seien 21 Personen aufgrund der rechtlichen
Intervention freigelassen worden. „Dies ist absolut
unverhältnismäßig. Dass sich daran in den letzten zehn Jahren
nichts geändert hat, ist ein Skandal“, kritisierte Diakonie-Chef Wolfgang
Gern.
„Dublin II-Verordnung gehört auf Prüfstand“
Beunruhigend ist laut DWHN und
DiCV
Mainz auch das starke Ansteigen der so genannten
Dublin II-Fälle in der Beratung. Nach der Dublin II-Verordnung ist immer
der Staat in Europa für die Durchführung des Asylverfahrens
zuständig, den der Flüchtling zuerst betreten hat. Elf der durch den
Rechtshilfefonds bezuschussten Fälle hatten einen solchen Dublin
II-Hintergrund.
Die Betroffenen waren
häufig erst nach jahrelangem Herumirren in verschiedenen europäischen
Staaten in Deutschland angekommen. Hier wurden sie dann wegen illegaler
Einreise verhaftet und landeten in Abschiebungshaft, wo die zuständigen
Behörden alles daran setzten, das Erst-Asylland ausfindig zu machen und
die Menschen dahin wieder zurückzuschicken.
„Wir müssen
feststellen, dass es nicht mehr darum geht, warum ein Mensch aus seiner Heimat
flieht. Längst steht nur noch die Frage im Vordergrund, über welche
Länder er geflohen ist, damit er dorthin wieder zurückgeschoben
werden kann“, resümierte Diakonie-Vorstandsvorsitzender Dr. Wolfgang
Gern. In vielen europäischen Staaten, wie in Italien, aber auch Ungarn
oder Rumänien seien die Zustände für Flüchtlinge oft
menschenunwürdig. Weil es keine einheitlichen und vor allen Dingen keine
verbindlichen Standards im Verfahren und in der Unterbringung gibt, müsse
die Dublin II-Verordnung grundlegend überdacht werden, so die Forderung
der beiden Verbände.
„Ein faires und Lasten
verteilendes Verfahren ist dringend notwendig, im Sinne der betroffenen
Menschen und im Hinblick auf die betroffenen EU-Staaten, insbesondere an den
Außengrenzen“, fasste Domkapitular Hans-Jürgen Eberhardt die
Forderungen der beiden Verbände zusammen.
Das Diakonische Werk in Hessen
und Nassau und der Diözesancaritasverband Mainz werden auch zukünftig
gemeinsam ihren
anwaltschaftlichen
Auftrag ernst
nehmen und sich für die Verbesserung der Situation von Menschen in der Abschiebungshaft
bei den politisch Verantwortlichen einsetzen und Veränderungen anmahnen.
Stichwort: Abschiebungshaft in Ingelheim
Die Abschiebungshaft in
Ingelheim existiert seit Mai 2001. Sie hat 152 Haftplätze, zurzeit sind
dort etwa 30 Männer und Frauen inhaftiert. Eine fünf Meter hohe
Betonmauer trennt die Insassen von der Außenwelt. Durch die vergitterten
Fenster in den Innengebäuden fällt der Blick auf dreifachen Stacheldraht.
Stichwort: Rechtshilfefonds
Mit dem Rechtshilfefonds
werden Verfahren teilfinanziert, um die Verhängung von Abschiebungshaft zu
überprüfen oder andere asyl- und ausländerrechtliche Schritte
einzuleiten. Der Rechtshilfefonds wird von den Caritasverbänden Mainz,
Limburg, Speyer und Trier und den Diakonischen Werken in Hessen und Nassau, der
Pfalz und Rheinland-Westfalen-Lippe sowie aus Eigenmitteln und Spenden
finanziert.
Hinweis für Redaktionen:
Gerne vermitteln wir Ihnen
Interviews und Gespräche auch über Dublin II-Fälle mit unseren
Mitarbeitern in der Abschiebungshaft in Ingelheim.
Die Pressemitteilung wird
zeitgleich vom Diakonischen Werk in Hessen und Nassau
und vom Diözesancaritasverband Mainz verschickt.