Offenbach.
– Der Name des Absenders und die Person des Vortragenden ändern sich, aber die
bedrückende Botschaft bleibt Monat für Monat gleich: Ob von der Bundesanstalt oder
der Agentur für Arbeit verkündet, ob von Bernhard Jagoda, Florian Gerster oder
Frank-Jürgen Weise vorgetragen: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland bleibt mit
über vier Millionen Menschen auf hohem Niveau.
Was sich für die von Arbeitslosigkeit betroffenen und bedrohten Menschen
an Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und körperlich wie psychisch krank
machenden Elementen hinter den nüchternen Zahlen verbirgt,
wird in der öffentlichen Diskussion in aller
Regel übersehen. Der Caritasverband Offenbach hat mit seinem Anfang 2001
begonnenen und bisher ziemlich einmaligen Projekt „Beruf und Leben“ ein
Beratungsangebot für Menschen geschaffen, die von Arbeitslosigkeit betroffen
sind oder sich von Kündigung bedroht sehen. Nach mehr als drei Jahren konnte
das Projekt auf einer Pressekonferenz am 8. Juni 2004 eine sehr erfolgreiche
Bilanz vorlegen: 85 Prozent der seit Projektbeginn mehr als 200 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer beurteilten es als „sehr hilfreich“; 69 Prozent der arbeitslosen
und zumeist Langzeit-arbeitslosen Teilnehmer konnten eine neue Stelle antreten,
weil sie wieder neues Selbstbewusstsein gefunden hatten; durch Ängste und
Arbeitslosigkeit verursachte psychosomatische Erkrankungen, die zum Teil mit
langen Krankschreibungen der Betroffenen verbunden waren, konnten geheilt
werden. Die Teilnehmer waren zwischen 25 und 63 Jahren alt, wobei der
Altersschwerpunkt jenseits von 45 Jahren in der zweiten Lebenshälfte lag.
„Arbeitslosigkeit
und die Gefährdung des Arbeitsplatzes können krank machen: seelisch und körperlich“,
zieht der Vorstandsvorsitzende des Caritasverbandes Offenbach, Caritasdirektor
Simon Tull, ein Resümee aus den bisherigen Projekterfahrungen. „Unser Projekt
`Beruf und Leben´ leistet daher einen sehr wichtigen Dienst.“
Persönliche
Unterstützung gefragt
Entstanden
ist das Projekt „Beruf und Leben“ aus den Erfahrungen der Psychologischen
Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensberatung. Deren Leiterin Ingrid
Jost bestätigt, dass bis zum heutigen Tag die Folgen von Arbeitslosigkeit und
die Ängste vor dem Verlust des Arbeitsplatzes im Rahmen der Eheberatung eine
noch immer steigende Bedeutung einnehmen.
„Diese
Erfahrungen haben wir mit dem Projekt `Beruf und Leben´ aufgegriffen“, so
Koordinator Günter Rothenberg. „Menschen in beruflichen Krisen und
Arbeitslosigkeit brauchen nicht nur informative Beratung, sondern vor allem
eine gezielte persönliche Unterstützung, um ihre Situation möglichst mit
eigener Kraft bewältigen zu können und nicht abzurutschen“, sagt er. Eine
eingehende Kündigung sei oft der „Kipp-Punkt“, der Menschen in
Langzeitarbeitslosigkeit fallen lasse.
250
Personen in drei Jahren
Bisher
haben sich rund 250 Personen über das Projektangebot informiert. Mit 189 von
ihnen sind persönliche Vorgespräche geführt worden. Bei manchen von ihnen waren
weitere Einzelberatungen oder Kriseninterventionen notwendig. Den meisten
konnte in geleiteten Gruppensitzungen geholfen werden, während der die
Teilnehmerrinnen und Teilnehmer ihre Erfahrungen reflektierten und
weiterführende Perspektiven entwickelten. Die Menschen werden sich dabei wieder
neu ihrer Stärken und Kompetenzen bewusst, die durch die Kündigung keineswegs
verloren gegangen sind. Sie lernen, sich nicht als persönliche Versager zu
sehen, sondern als Menschen, denen durch Umstrukturierungen,
Betriebsverlagerungen oder Rationalisierungen schlichtweg der Arbeitsplatz
entzogen wurde.
Das
Fallbeispiel des Herrn M.
Rothenberg
erläuterte am Fallbeispiel des Herrn M. die Problematik, die zumeist im
Hintergrund steht. Nach 24jähriger Betriebszugehörigkeit wurde Herrn M. im
Alter von 49 Jahren wegen Umstrukturierungsmaßnahmen gekündigt. Anfangs trug er
seine Arbeitslosigkeit, die nicht ganz unerwartet kam, mit Fassung und in der
Hoffnung, bald wieder einen neuen Arbeitsplatz zu haben. Als immer wieder
Absagen kamen, begann er, an seiner beruflichen Qualifikation und seinen
Fähigkeiten zu zweifeln. Er fühlte sich zunehmend Mut und Kraft los. Von seinen
Bekannten hat er sich zurückgezogen, denn er kann ihre gut gemeinten Fragen, ob
er eine neue Arbeitsstelle habe, nicht mehr hören. Er bleibt fast nur noch zu
Hause vor dem Fernseher, hat deshalb öfters Streit mit seiner Frau. Weil das
Arbeitsamt Druck ausübt, schreibt er artig Bewerbungen – aber eher mechanisch.
Sein Selbstbild ist: „Mit meinen 49 Jahren gehöre ich zum alten Eisen, man
braucht mich nicht mehr.“ Nach einigen Monaten der Arbeitslosigkeit beginnt
Herr M., der nie krank war, zu kränkeln, leidet an Gewichtsverlust und klagt
über Rücken- und Kopfschmerzen. Seine Ärzte können organisch nichts finden.
In
dieser Situation wird Herr M. auf das Projekt „Beruf und Leben“ aufmerksam.
Nach einem Vorgespräch nimmt er an den regelmäßigen Gruppensitzungen teil. Der
Kontakt zu anderen Betroffenen und der intensive, angeleitete Austausch
entlasten ihn zunächst einmal und bringen ihn aus seiner inneren und äußeren
Isolation wieder heraus. Seine depressive Grundstimmung hellt sich deutlich
auf. „Ich habe in den letzten Monaten selten so ausführlich mit anderen
Menschen geredet und dachte gar nicht, dass ich selbst noch so viel zu sagen
habe. Ich war irgendwie blockiert.“ Mit Hilfe der Gruppe entdeckt Herr M.
eigene Wünsche und vor allem auch persönliche Talente und Fähigkeiten wieder.
Die Gruppe bietet keine Patentrezepte, sondern unterstützt individuell dabei,
neue Perspektiven zu entwickeln und neue Felder zu erproben. Herr M. beginnt
schließlich ein ehrenamtliches Engagement. Er gibt Computerkurse bei Senioren
und bekommt ein positives Echo. Er fühlt sich stabiler und bewirbt sich
verstärkt und nun mit einem veränderten Selbstbewusstsein. Erstmals seit langen
Monaten wird er wieder zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen...
Stadtwerke
Offenbach als Förderer
Die
Stadtwerke Offenbach Holding GmbH (SOH) ist von den Ergebnissen des Projektes
überzeugt und hat – ähnlich wie in den vergangenen Jahren - eine Förderung in
Höhe von 7.500 Euro erneut zugesagt. Joachim Böger, Sprecher der
Geschäftsführung der SOH bei der Pressekonferenz: „Wir sind dankbar, dass die
Caritas dieses innovative Projekt ins Leben gerufen hat und unterstützen es,
weil es vielen Menschen in Offenbach eine wertvolle Hilfe gibt. Es freut mich,
das mit den Förderungsmitteln der vergangenen drei Jahre Hilfe effizient und
auf einem fachlich hohen Niveau weitergegeben wurde.“ - Mit einem geringeren
Betrag zählte in der Vergangenheit auch die Stadtsparkasse Offenbach zu den
Förderern des Projektes.
Zukunft
ungewiss
Wenngleich
der Caritasverband Offenbach laut Günter Rothenberg nur wenig Werbung für das
Projekt macht, hat es steigende Nachfrage. Ähnlich wie ganz zu Beginn, musste
auch jetzt wieder eine zweite Gesprächsgruppe eingerichtet werden. Gerne würde
der Caritasverband das Projekt in ein festes Angebot überführen, sagte
Caritasdirektor Simon Tull. Wegen der engen Finanzsituation könne der Verband
derzeit keine Zusage geben. Tull fürchtet, dass sich mit Inkrafttreten der
sogenannten Hartz – Gesetze und der Zusammenführung von Sozialhilfe und
Arbeitslosengeld II die Situation für viele Menschen noch verschlimmern werde.
Da aber noch immer die Ausführungsbestimmungen zu den Gesetzen fehlten, „wissen
wir nicht, was auf uns zukommt und inwieweit wir in der Lage sind,
entsprechende Hilfen anzubieten“, sagte Tull. Um so dankbarer sei er für die
Förderung durch die SOH. „Das Geld wird den Ratsuchenden unmittelbar zugute
kommen“, versicherte er.
Anfragen
nach den Erfahrungen mit dem Projekt habe es insbesondere aus Thüringen und
Baden-Württemberg gegeben, berichtete Rothenberg. Die Caritas Offenbach würde
es begrüßen, wenn das Projekt andernorts Nachahmer fände und sie sei gerne
bereit, die eigenen guten Erfahrungen dafür zur Verfügung zu stellen, sagte er.
J. Otto Weber
Kontakt:
Projekt
„Beruf und Leben“, Caritasverband Offenbach, Kaiserstraße 44,
63065
Offenbach, Fon 069 / 800 77 810, Fax 800 77 820,
E-Mail: projekt-berufundleben@caritas-offenbach.de