Offenbach. – Es ist
eines von vielen Paradoxen in der derzeitigen sozialen Landschaft: wenngleich
bei der Caritas die Nachfrage nach Ehe-, Familien- und Lebensberatung mit stark
steigender Tendenz ungebrochen anhält, muss das Angebot zurück gefahren werden.
Die öffentlichen Haushalte stellen immer weniger Geld für soziale
Beratungsdienste zur Verfügung und die Kirche, bisher Hauptfinanzierer der
offenen Beratungsdienste der Caritas, muss durch erhebliche Einbrüche bei der
Kirchensteuer ebenfalls ihren Zuschüsse zurücknehmen. Auf der Strecke bleiben
die Menschen, die in einer schweren Beziehungs- oder Lebenskrise dringend
beratende Hilfe brauchen, diese aber nicht bekommen.
Bei der Ehe-,
Familien- und Lebensberatung der Caritas in Offenbach zum Beispiel konnten 2002
wegen fehlender Kapazität 66 Anfragen nicht angenommen werden, in vergangenen
Jahr 2003 waren es bereits 177 Fälle. Parallel dazu musste die Zahl der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstelle innerhalb von zwei Jahren
von vier auf drei zurückgenommen werden. Der Offenbacher Caritasdirektor Simon
Tull und Ingrid Jost, die Leiterin der Offenbacher Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle,
schlugen am 16. September auf einer Pressekonferenz Alarm, nachdem die
Nachricht durchgesickert ist, der Landkreis Offenbach wolle seinen Zuschuss für
diese Beratungsarbeit in Höhe von um die 100.000 Euro pro Jahr einstellen.
Dabei wurde auch bekannt, dass die Stadt Offenbach, in der ein gutes Drittel
der Ratsuchenden wohnt, seit Jahren den jeweils beantragten Zuschuss
verweigert. Knapp 210.000 Euro brachte der Caritasverband zuletzt aus
Eigenmitteln für die Stelle auf. Diese stammen zum größten Teil aus Kirchensteuermitteln,
die ebenfalls rückläufige Tendenz aufweisen.
Die Zahl der
Ehescheidungen steigt bundesweit seit Jahren kontinuierlich an. 2003 wurden
nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 214.000 Ehen geschieden. Das
sind 4,8 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Noch gravierender ist die Zahl der
Kinder gestiegen, die von der Scheidung der Eltern betroffen sind. 2003 waren
es über 170.000 Kinder, 6,3 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Diese Tendenz, so
Simon Tull, gilt auch für Offenbach.
Soziale Unsicherheit
schlägt durch
Ingrid Jost sah einen
Grund für dieses Ansteigen in der insgesamt angespannten sozialen Situation
unserer Gesellschaft, den Ängsten und Unsicherheiten, die allgemein überhand
nehmen. Auf nichts ist mehr Verlass und es wird immer schwerer für Menschen,
ihr Leben zu planen. Einen anderen Grund sah Jost darin, dass immer mehr Kinder
aus geschiedenen Ehen heute im ehefähigen Alter sind. Kinder aus geschiedenen
Ehen tun sich schwerer, dauerhafte Bindungen einzugehen und zu halten, als andere.
Das sei, so Jost, statistisch wie empirisch erwiesen und müsse eigentlich schon
ein starker Grund für unserer Gesellschaft sein, durch Förderung von Beratungsstellen
neue Ehescheidungen zu vermeiden oder – wenn das nicht möglich ist – den
Betroffenen wenigstens zu helfen, ihre Beziehung fair zu lösen und dabei auch
Wege zu suchen, den Schaden für die Kinder möglichst gering zu halten. Jost
nannte weitere Gründe: Zunehmende Ehescheidungen lasse die Zahl der
Alleinerziehenden steigen, die einen besonderen Bedarf an Unterstützung nicht
zuletzt durch die Sozialhilfe haben. Generell steigen in Folge der Scheidungen
die Sozialhilfekosten an. Abzusehen ist steigende Altersarmut insbesondere von
Frauen. Die Kosten für die Jugendhilfe nehmen zu, da manche (nicht alle!)
Kinder nach Scheidung ihrer Eltern Verhaltensauffälligkeiten bis hin zur
Kriminalität entwickeln. Auch nehmen die Kosten im Gesundheitswesen zu, da
Trennung und Scheidung häufig auch gesundheitliche Folgen haben.
Kritisches
Lebensereignis mit gravierenden Folgen
Trennung und Scheidung
vom Partner sei ein kritisches Lebensereignis, sagt Jost, das in der Regel
gravierende psychische, soziale und materielle Folgen nach sich ziehe. Der
damit verbundene massive psychische Stress führe häufig zu schwerwiegenden
psychischen Störungen bis hin zu körperlichen und psychischen Erkrankungen. Es
komme zu Verlust von Vertrauen, Schuldgefühlen, Selbstzweifeln bis hin zu Selbstmordgedanken.
Die Arbeitsfähigkeit werde gemindert. Soziale Bindungen gehen häufig verloren
und soziale Stützen brechen weg. Gestört werde der Kontakt zu den eigenen
Kindern. Nicht selten sind mit Trennung und Scheidung materielle Einbußen,
sozialer Abstieg bis hin zum Einstieg in die Armut oder Obdachlosigkeit
verbunden.
Trennung und Scheidung
haben massive Folgen für die Betroffenen wie für die Gesellschaft.
Caritasdirektor Tull appellierte deshalb an die Verantwortlichen in der Gesellschaft,
diese Zusammenhänge zu sehen und durch Förderung der Beratungsstellen
mitzuhelfen, diese Folgen zu vermeiden oder zu minimieren.
J. Otto Weber