Pressemitteilung
„Abschiebungshaft macht
krank“
Zwischen Traum und Trauma: Zeugnisse von
Menschen in Ängsten und Verzweiflung – Zehn Jahre Hilfsprojekt von Diakonie und
Caritas in Abschiebungshaft Ingelheim
Mainz / Frankfurt am Main.
„Abschiebungshaft
macht krank. Sie darf daher nur als ,Ultima ratio‘ angewendet werden. Gerade
traumatisierte Menschen oder auch minderjährige Flüchtlinge gehören nicht in Abschiebungshaft.“
Darauf hat Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen
Werks in Hessen und Nassau (DWHN), heute vor Journalisten in Mainz bei der
Vorstellung des Buches „Zwischen Traum und Trauma. Innen-Ansichten aus der
Abschiebungshaft Ingelheim“ hingewiesen.
Die inzwischen diplomierte Politologin Alena Thiem hatte im Sommer 2009 im Auftrag von Diakonie und Caritas Gefangene in Ingelheim besucht und die Geschichten von fünf Frauen und Männern aufgeschrieben. Ihr Buch ist ein eindringliches Zeugnis der Lebenswelt der Inhaftierten.
Seit zehn Jahren engagiert sich das DWHN gemeinsam
mit dem Caritasverband für die Diözese Mainz e.V. in der Abschiebungshaft in
Ingelheim – unter anderem durch kostenlose Rechtberatung der Inhaftierten. Diözesancaritasdirektor
Hans-Jürgen Eberhardt erinnerte daran, dass Diakonie und Caritas in den
vergangenen zehn Jahren mit gut 1.800 Menschen in der Haft Kontakt hatten.
„Viel Unfassbares wurde gehört, viele Unterstützungsmaßnahmen wurden versucht.
Menschliche Schicksale wurden sichtbar, waren persönlich greifbar, haben uns
das Leid der Flucht und Verfolgung deutlich vor Augen geführt“, so Eberhardt.
Anlässlich ihres inzwischen zehnjährigen Engagements
in dem gemeinsamen ökumenischen Hilfsprojekt in der Abschiebungshaft Ingelheim
äußerten sich beide Verbände zudem kritisch zum so genannten
Dublin-II-Verfahren, wonach derjenige EU-Staat für die Durchführung des
Asylverfahrens zuständig ist, in dem ein Flüchtling zum ersten Mal registriert
wird.
Flüchtlingsschutz nicht in Länder auslagern, die Menschenrechte missachten
Dies bedeute, so Gern, dass „der Flüchtlingsschutz ausgelagert wird auch in die Länder, die die Menschenrechte missachten. Das dürfen wir nicht zulassen.“ Zurzeit trügen die Länder im südlichen Teil Europas die Hauptlast bei der Flüchtlingsaufnahme. Ein fairer und solidarischer Ausgleich sei nötig. „Solange nicht sichergestellt ist, dass in allen EU-Ländern die Genfer Flüchtlingskonvention angewandt wird und die Aufnahmebedingungen vergleichbar sind und menschenrechtlichen Standards genügen, kann die Dublin-II-Verordnung nicht konsequent umgesetzt werden“, schloss Diakonie-Chef Gern.
Domkapitular Hans-Jürgen Eberhardt betonte, dass der Rückgang der Abschiebungshaftzahlen (wurden 2001 mehr als 31.000 Menschen auf dem Luftweg aus Deutschland abgeschoben, waren es 2009 knapp 8.000) auch auf die seit Jahren verstärkten Bemühungen der Grenzsicherung und Grenzfestigung an den Außengrenzen der EU zurückzuführen sei: „Viele Menschen können nicht mehr kommen: Denn sie sterben beim Versuch, ihr Leben zu retten. Davon berichten uns auch Inhaftierte in Ingelheim. Ihre Augenzeugenberichte machen uns oft fassungslos“.
Europäische
Gesamtlösung für den Schutz von Flüchtlingen
Alena Thiem erinnerte sich an ihre Besuche bei den Inhaftierten: „Mein Anliegen ist es, mit dem Buch die Geschichten Einzelner nach außen zu tragen, um eine Öffentlichkeit für die Betroffenen der Institution Abschiebungshaft zu schaffen und die kritische Auseinandersetzung im Alltag mit den Mechanismen der Abschiebungspolitik und -logik zu fördern." Die ausgewählten Geschichten seien sehr persönliche Schilderungen und stünden zugleich beispielhaft für die Menschen, die in Ingelheim inhaftiert seien.
Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl, setzte sich ebenfalls für eine solidarische und menschenrechtskonforme Asylzuständigkeitsregelung ein. Täglich würden Schutzsuchende in Deutschland inhaftiert und zwangsweise in ein anderes EU-Mitgliedsland zurückgeschickt. „Heute steht in Deutschland und Europa nicht mehr der Fluchtgrund im Zentrum des Asylverfahrens, sondern der Fluchtweg“, so Kopp. „Solidarität statt Abwehr – eine europäische Gesamtlösung für den Schutz von Flüchtlingen ist die Antwort auf die humanitäre Krise an der griechisch-türkischen Grenze und anderswo“, plädierte Kopp.
Zwischen Traum und Trauma Innen-Ansichten aus der Abschiebungshaft in
Ingelheim
herausgegeben vom Diakonischen Werk in Hessen und Nassau und dem
Caritasverband für die Diözese Mainz, von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe,
2010.
Stichwort:
Abschiebungshaft in Ingelheim
Die Abschiebungshaft in Ingelheim existiert seit Mai 2001. Sie hat 152 Haftplätze, knapp ein Drittel ist belegt. Das Haftgebäude gleicht einem Sicherheitsgefängnis. Eine fünf Meter hohe Betonmauer trennt die Insassen von der Außenwelt. Durch die vergitterten Fenster in den Innengebäuden fällt der Blick auf dreifachen Stacheldraht.
Stichwort:
Hilfsprojekt von Diakonie und Caritas
Diakonie und Caritas bieten seit 2001 in ihrem gemeinsamen
ökumenischen Hilfsprojekt in der Abschiebungshaft neben der unabhängigen
Beratung durch einen hauptamtlichen Mitarbeiter einmal wöchentlich eine kostenlose
Rechtsberatung durch Rechtsanwälte an, die im Asyl- und Ausländerrecht erfahren
sind. Darüber hinaus stellen sie einen Rechtshilfefonds bereit, damit auch
inhaftierte Personen, die nicht über Geldmittel verfügen, Haftbeschwerde
einlegen können. Zudem organisieren sie einen Sprachmittlerpool, auf den
bei Verständigungsschwierigkeiten
zurückgegriffen werden kann.
Stichwort: Rechtshilfefonds
Mit dem Rechtshilfefonds
werden Verfahren teilfinanziert, um die Verhängung von Abschiebungshaft zu
überprüfen oder andere asyl- und ausländerrechtliche Schritte einzuleiten. Der
Rechtshilfefonds wird von
Caritasverbänden und
Diakonischen
Werken in Hessen und Rheinland-Pfalz
finanziert.