Bensheim. – Alkohol ist nach dem Nikotin die Droge Nummer 2 in Deutschland. Rund drei Millionen Menschen sind Alkohol abhängig – und jährlich sterben rund 50.000 Menschen an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums. Zum Vergleich: die Zahl der Toten durch die sogenannten illegalen Drogen wie Cannabis, Ecstasy, Kokain und Heroin liegt bei 2.000 pro Jahr. Diese Zahlen nannte Dr. Carlo Schmid, der ärztliche Leiter der Klinik Schloß Falkenhof in Bensheim, zu Beginn eines Fachtages für Beratungsstellen und Sozialdienste. Die vom Caritasverband Darmstadt getragene Klinik für Abhängigkeitserkrankungen präsentierte bei der von 250 Gästen besuchten Tagung am 12. Februar Strategien zum Ausstieg aus der Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Einzigartig in der medizinischen Rehabilitation ist nach Dr. Schmid der Verbund zwischen Fachambulanz, Selbsthilfegruppen und der Klinik Schloß Falkenhof. Verwaltungsleiter Karl-Heinz Schön wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass jeder in Behandlung investierte Euro nach Untersuchungen der Rentenversicherer und Krankenkassen zehn Euro an Folgekosten durch Krankheiten, Fehlzeiten im Betrieb und Unfälle spart. Die Kürzung der Zuschüsse für die Suchtberatung in Hessen sei gerade vor diesem Hintergrund nicht nur ein sozialpolitischer Kahlschlag, sondern ein „sozialpolitischer Fehlschlag“, sagte Schön.
Zu einem beeindruckenden Einstieg in die Tagungsthematik wurde das Theaterstück „Morgen hör´ ich auf“ von Eddi Cornwell. Der nicht zuletzt aus Krimiserien bekannte Schauspieler Karlheinz Lemken spielte unter der Regie von Andrea Dahmen in dem 75-minütigen Ein-Mann-Theater-Stück den Alltag eines Alkoholkranken in den verschiedenen Stadien. Es begann damit, dass er sich anfangs vorgaukelte, die Alkoholprobleme noch im Griff zu haben. Nach und nach verlor er erst seinen Führerschein, später seinen Job und schließlich seine Frau und seine Kinder. Der Ausweglosigkeit nahe, rang er sich dazu durch, eine Suchtbehandlung in einer Therapieeinrichtung zu beginnen. Glatt verlief sie nicht, immer wieder gab es Rückschläge und Rückfälle, deren letzter beinahe zum Tode geführt hätte. Erst nach diesem Erlebnis war er bereit, ernsthaft ein abstinentes Leben anzustreben.
An dem Fachtag für Beratungsstellen und Sozialdienste nahmen insbesondere Leitungskräfte aus Betrieben, Mitarbeiter betrieblicher Sozialdienste, Betriebsräte, Suchtberater und Sozialberater aus caritativen Einrichtungen teil. Auch Angehörige der Selbsthilfe, insbesondere des Caritas-Fachverbandes „Kreuzbund“, waren zahlreich vertreten. Die Sensibilität für Suchtprobleme ist in vielen Betrieben recht hoch, so der ärztliche Klinikleiter Dr. Schmid. Man schätzt, dass etwa 5 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Betrieben Suchtprobleme haben. Nicht zufrieden ist Dr. Schmid mit der Sensibilität vieler seiner ärztlichen Kollegen. Noch immer komme es vor, dass Ärzte insbesondere ihren älteren Patienten ein Glas Sekt am Morgen für den Kreislauf und ein Glas Rotwein am Abend zum Einschlafen empfehlen, kritisierte er. Seine Erfahrung: Wenn Ärzte bei einem Suchtproblem nicht mehr weiter wissen, überweisen sie den Patienten häufig lieber zu einem Facharzt statt die Zusammenarbeit mit Fachambulanzen vor Ort oder der Klinik Schloß Falkenhof zu suchen.
Breiteste Zusammenarbeit mit allen am Suchtverhalten eines Patienten und seiner Heilung Beteiligten kennzeichnet die Arbeit der Klinik Schloß Falkenhof. Die Patienten kommen in der Regel aus einem regionalen Umfeld von etwa 150 km Durchmesser. Mit den Fachambulanzen und Beratungsstellen zum Beispiel in Aschaffenburg, Lohr, Würzburg, Kitzingen, Frankfurt, Wiesbaden, Friedberg, Fulda, Mainz, Rüsselsheim, Ludwigshafen, Mannheim, Heidelberg, Heppenheim, Darmstadt und Dieburg besteht ständiger Austausch. Dichte und effektive Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen insbesondere des Kreuzbundes im Vorfeld, während und nach der stationären Therapie führen zu sehr guten Therapieergebnissen. 90 Prozent der Patienten werden über Fachambulanzen vermittelt, so dass auch eine Nachsorge nach der stationären Phase sicher gestellt ist. Während der Therapie werden auch die Angehörigen, Partner, Familien und die Betriebe einbezogen und so weit wie möglich mitbeteiligt.
Im Steigen begriffen ist die Zahl der mehrfachabhängigen Patienten, die häufig von gegenläufig – beruhigend und antriebssteigernd - wirkenden Suchtmitteln abhängig sind. Sie stellen derzeit etwa ein Viertel der 70 Patienten der Klinik dar. Und es nehmen die nicht Stoff gebundenen Süchte – wie Spiel-, PC-, oder Kaufsucht – und die Workaholics zu. Der Einstieg in die Sucht erfolgt bei Jugendlichen immer früher. In Großstädten beginnen schon Kinder ab 9 Jahren mit dem Konsum von Suchtmitteln, auf dem Land ab 12 Jahren. Nicht zuletzt die Sprachlosigkeit vieler Jugendlicher zu ihren Eltern sowie großes Misstrauen und Angst vor dem Alleinsein werden dafür verantwortlich gemacht. Auch bei der älteren Bevölkerung nehmen die Abhängigkeiten zu. Fehlende Sinnstrukturen, fehlende soziale Kontakte und fehlende Aufgaben gelten als Gründe dafür.
Die überwiegende Therapiedauer in der Klinik Schloß Falkenhof beträgt bei Alkohol abhängigen Patienten 12 bis 16, bei Abhängigen anderer Suchtmittel 20 bis 26 Wochen.
J. Otto Weber