Wiesbaden. – Rund 10.000 Menschen aus ganz Hessen demonstrierten am Mittwoch, 15. Oktober, in Wiesbaden gegen die vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch geplanten drastischen Kürzungen im Sozialen. Die hessische Landesregierung hatte aus heiterem Himmel vor etwa 4 Wochen angekündigt, 30 Millionen Euro allein auf dem Sozialsektor im Haushalt 2004 einsparen zu wollen. Davon betroffen sind über 750 soziale Dienste und Einrichtungen in Hessen. „Damit erlebte das soziale Hessen den ärgsten Schlag in seiner sozialen Geschichte“, sagte der Limburger Diözesancaritasdirektor Dr. Hejo Manderscheid während der Kundgebung und forderte: „Die Giftliste der Streichungen muss ohne Wenn und Aber weg“. Manderscheid erinnerte die hessische Landesregierung an ihr eigenes Regierungsprogramm und warf ihr dreifachen Wortbruch vor: aufgekündigt habe sie die versprochene Solidarität mit den Schwachen, gebrochen habe sie ihre zugesicherte Verpflichtung zum sozialen Handeln und jäh beendet habe sie ihre versprochene partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden und den anderen im Sozialsektor engagierten Sozialverbänden. Zu der Demonstration nach Wiesbaden eingeladen hatte das Bündnis „Soziale Gerechtigkeit in Hessen“, zu dem sich Wohlfahrts-, kirchliche und weitere im Sozialen engagierte Verbände sowie die Gewerkschaften zusammen geschlossen haben.
Die von der hessischen Landesregierung geplanten Streichungen betreffen vor allem die Hilfen für Personengruppen, die am meisten am Rande stehen: Obdachlose, Bewohner von Sozialen Brennpunkten, Frauen in Notsituationen, Suchtkranke, Psychisch Kranke, überschuldete Menschen und Ausländer in schwierigen Situationen. Betroffen sind auch Beratungsdienste wie die Erziehungsberatung und die Beratung in Ehe-, Familien- und Lebensfragen, die in einer Zeit brüchiger werdender zwischen-menschlicher Beziehungen und zunehmender Brutalität in der Gesellschaft stark steigende Nachfrage haben. Gestrichen wurden alle Mittel für die Migrationsdienste, die im Rhein-Main-Gebiet, dem Schmelztiegel der Nationen, einen unschätzbaren Beitrag zum friedlichen Zusammenleben der Menschen miteinander leisten.
Wie der Frankfurter Caritasdirektor Hartmut Fritz nannten es mehrere Rednerinnen und Redner „mehr als zynisch“, dass Koch seine Streichaktion im Sozialen als „Operation sichere Zukunft“ bezeichne. Das Gegenteil sei zutreffend. Als Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte verwies Fritz auf die Erfolge Jahre langer Sozialarbeit. Mehr als 120 Stadtteilprojekte in Hessen haben die sozialen Brennpunkte davor bewahrt, zu Slums zu verkommen und haben unter den Bewohnern neues Selbstvertrauen und Stärkung der eigenen Kräfte bewirkt. Frauenprojekte Frauenhäuser und Frauenbildungsarbeit seien auf gutem Wege, Gewalt gegen Frauen einzudämmen und zeitigten große Erfolge in Gewaltprävention. Streichvorhaben der hessischen Landesregierung in Höhe von 916.000 Euro träfen die Frauenarbeit ins Mark. Verlierer seien die Frauen, Gewinner die Täter, sagte Fritz.
Weder sozial noch christlich noch zukunftssichernd seien die Streichvorhaben der hessischen Landesregierung, so Anne Franz, die Vorsitzende des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Während die anderen Ressorts der Landesregierung von Kürzungen in Höhe von im Schnitt 5 Prozent betroffen seien, sollen im Sozialen 35 Prozent gestrichen werden, kritisierte sie die Schieflage. Die Streichungen bewirkten hohe soziale Folgekosten und gefährdeten den sozialen Frieden, prophezeite sie. Die CDU habe nur eine Stimme Mehrheit im Landtag. „Wir werden genau hinschauen, wie sich jede und jeder Landtagsabgeordnete verhält“, sagte sie und fügte hinzu: „Es gibt auch bestimmt in der CDU vernünftige Menschen“.
„Wer den Sozialstaat abbaut, sägt auch an unserer Demokratie“, warnte Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau. „Ohne soziale Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben“. Scharf kritisierte er, dass die Arbeit des Flughafensozialdienstes, die bisher in kritischer Partnerschaft zum Staat von Caritas und Diakonie wahrgenommen wurde, künftig in staatliche Trägerschaft übergehen soll. „Das Gegenteil der bisher bewährten Subsidiarität ist Verstaatlichung“, sagte Gern und erinnerte daran, dass diese Praxis vor dem Mauerfall im Osten unseres Landes vorherrschte.
Unter den 10.000 Demonstranten waren auch starke Delegationen der Caritasverbände Gießen, Offenbach und Darmstadt im hessischen Teil der Diözese Mainz sowie eine Delegation des Caritasverbandes für die Diözese Mainz. Auf einem großen Transparent, das auch in den Abendnachrichten des hessischen Fernsehens gezeigt wurde, hatte letztere die Sparvorhaben der hessischen Landesregierung als „Koch(s)-Kunst gegen kleine Leute“ charakterisiert.
J. Otto Weber