Plastikverzicht in der Corona–Krise? Eine Herausforderung
Es ist in den letzten Wochen viel schwieriger geworden, auf Plastik zu verzichten. So nehmen die Geschäfte zurzeit keine mitgebrachten Behälter für Käse und Wurst an. Auch meine Beutel für Brötchen vom Bäcker dürfen nicht verwendet werden. Ebenso wie Eierschachteln und Ähnliches. Es häuft sich also auch wieder Papiermüll an. Außerdem sind die Warteschlangen beim Metzger und an den Frischetheken im Supermarkt oft sehr lang, so dass ich mir dafür nicht die Zeit nehmen kann, mich anzustellen. Denn arbeiten gehen, Homeschooling von drei Kindern, einkaufen für zwei weitere Familien, lassen diesen zeitlichen Mehraufwand nur selten zu. Daher habe ich leider wieder vermehrt auf Lebensmittel in Verpackung zurückgegriffen. Allerdings finden wir diese Lebensmittel nicht mehr appetitlich.
Die ersten Wochen während der Corona-Krise habe ich das so hingenommen, weil man erst mal mit anderen "wichtigeren" Dingen beschäftigt war. Ich ärgere mich aber täglich mehr darüber, dass das Thema "auf Plastik zu verzichten" überhaupt nicht mehr im Fokus steht. Im Gegenteil: Generell finde ich es erschreckend, wie wenig Raum das Umweltthema jetzt in der Krise hat - es wird viel mehr bestellt, alles in Plastik verpackt verschickt, und vielen scheint das egal zu sein. Diese Plastikflut ärgert mich sehr. Auch in unserem Freundes- und Bekanntenkreis wird das Thema so gut wie nicht mehr erwähnt und das, obwohl wir kurz vor der Corona-Krise unser Umfeld mit unserer Idee - einen Unverpackt Laden in Rheinhessen zu eröffnen - begeistert haben.
Wir versuchen gerade wieder zu unserem plastikfreien Leben zurück zu kehren und halten an unserem Plan fest. Die Welt wird nach Corona schließlich immer noch mit Umweltproblemen zu kämpfen haben. Denn Plastik verrottet nicht so einfach. Und dass wir jede Menge Schadstoffe in unserem Körper haben, die wir unter anderem über in Kunststoff verpackte Lebensmittel aufnehmen - konnten wir durch einen Test selbst erfahren und zwar in der Sendung PUR+, siehe unten. Als ich die Werte der Urintests gesehen habe, hat mich das sehr erschreckt. Wir alle hatten viele Weichmacher im Körper.
Dank unseres Experimentes haben wir aber auch gesehen, dass wir diese Substanzen, die unseren Hormonhaushalt beeinflussen - was vor allem Kinder in der Entwicklung beeinträchtigen kann - wieder ausspülen können. Das war letztendlich der Auslöser zum Umdenken. Die positiven Testergebnisse nach nur vier Wochen haben uns überzeigt.
Das Experiment
Für die Sendung PUR+ im ZDF haben wir als Familie vier Wochen lang ein plastikfreies Leben getestet. Ziel war es herauszufinden, wie sich Plastik aus Lebensmittelverpackungen auf den Körper auswirkt. Dazu wurden am Anfang und am Ende Urinproben auf sieben Weichmacher getestet. Das Ergebnis: In den vier Wochen haben sich die Werte bei allen Familienmitgliedern drastisch verbessert.
Der Anfang war schon etwas aufwändig. Wir haben gemeinsam mit einem Experten alles besprochen und weggeräumt, was in Kunststoff verpackt war. Wir haben diese Lebensmittel bis zum Ende des Experimentes in unserem Kühlschrank im Keller verstaut, da wir nichts wegwerfen wollten. Wir haben Brotdosen und Trinkflaschen aus Metall gekauft, denn Dosen und Flaschen aus Kunststoff geben kontinuierlich Weichmacher ab. Das hat für die ganze Familie schon einige hundert Euro gekostet.
Frische Lebensmittel, ob vom Metzger, Bäcker, Bauern oder eben auch Unverpackt Laden sind natürlich in der Regel etwas teurer. Das sollte uns aber unsere Gesundheit und die unsere Kinder ohnehin wert sein. Allerdings kaufen wir jetzt viel bewusster und dadurch auch weniger ein.
Allerdings muss man ganz klar sagen, dass es wesentlich zeitintensiver ist. Man muss schon morgens überlegen, was man später einkaufen will - und gleich den richtigen Korb, die richtigen Gemüsebeutel, Metalldosen und die Brottasche mitnehmen. Außerdem Wachstücher, um damit Wurst und Käse von der Theke einzupacken. So viel wie möglich haben wir in Gläsern gekauft, Joghurt und Sahne zum Beispiel. Und wir sind oft in den Unverpackt Laden in Mainz gegangen. Wir haben gelernt: Man muss auf fast nichts verzichten, aber ganz einfach ist es auch nicht.
Seit Weihnachten habe ich zum Beispiel keine Chips mehr gekauft - dafür machen wir diese aus Kartoffeln selbst. Wir backen und kochen viel mehr gemeinsam und sind als Familie wieder näher zusammengerückt, denn wir haben uns alle mit dem Thema "Plastik freier leben" beschäftigt. Auch in vielen Schulen wurden die Themen Müllreduzierung und Müllvermeidung und nachhaltiger Leben behandelt - bis Corona. Das Experiment hat uns allen Spaß gemacht. Die Menschen um uns herum waren alle sehr neugierig und haben uns viele Fragen zu unserem Experiment gestellt - egal ob Jung oder Alt.
Am Thema drangeblieben
Das hat mich letztendlich auf die Idee gebracht - dieses Thema weiter zu vertiefen und nach Außen zu tragen und Kooperationspartner vor allem in meinem Arbeitsumfeld zu finden, was nicht schwer war, denn das Thema "Plastik frei" war durch die Medien ohnehin in aller Munde. Für Ende März und April waren eigentlich einige Veranstaltungen geplant; zum Beispiel im Dekanat ein Familiengottesdienst zum Thema "Plastik freie Ernährung und nachhaltiger Leben" mit anschließendem gemeinsamen Kochen aus unverpackten Lebensmitten, dem PUR+ Beitrag mit anschließender Fragerunde. Mit den Kindern wollten wir Bienenwachstücher herstellen. Ähnliches war im Seniorenzentrum in Bodenheim geplant unter Einbeziehung der Landfrauen, die uns beim Kochen unterstützt hätten und als Angebot für alle Bodenheimer und sonstige Interessierte. Ich bedauere sehr, dass diese Veranstaltungen nicht zustande kommen konnten, denn es hat einen generationsübergreifenden Gedanken der Jung und Alt wieder ein Stück näher zusamme bringen kann - und nicht nur, weil Essen gesellig ist.
Ich würde mich daher sehr freuen, wenn dem Thema "Plastik freier leben" wieder mehr Beachtung geschenkt wird und wir im Herbst die angedachten Projekte umsetzen können.
Mein Mann und ich halten übrigens weiter an unserem Plan fest, einen eigenen Unverpackt Laden zu eröffnen. Als ich Anfang des Jahres mit dem Bürgermeister von Bodenheim über diese Idee gesprochen habe, war er begeistert - und erzählte, dass kurz vorher eine andere Frau mit ähnlichen Plänen bei ihm war. Wir haben uns getroffen und wollen den Laden jetzt zusammen gründen (www.unverpackt-rheinhessen.de). Leider haben wir immer noch keine passende Immobilie gefunden, und durch die Corona-Krise verzögert sich alles. Aber ich hoffe, dass wir unsere Pläne möglichst bald umsetzen können!
Rebecca Koss arbeitet beim Caritasverband in Mainz und lebt mit Ihrem Mann Florian Koss (arbeitet bei einer Nachhaltigkeitsbank) und ihren drei Töchtern (15, 13 und 7 Jahre ) in Bodenheim bei Mainz.