Die Stimme der Arbeitslosen
Mit 6,4 Prozent liegt die Arbeitslosigkeit in Offenbach über dem Bundesdurchschnitt, prägt Stadt und Menschen und ist zugleich unsichtbar, verdrängt.
Die Idee zu einem Musical, in dem Langzeitarbeitslose die Hauptrolle spielen, hatte Thomas Gabriel, Regionalkantor des Bistums Mainz. Mit seiner Musik geht er an den Rand der Gesellschaft, zuletzt leitete er einen Projektchor mit Kindern und Jugendlichen aus dem Offenbacher Theresien Kinder- und Jugendhilfezentrum. Mit seiner Arbeit bringt er Themen und Menschen, die am Rand stehen ins Rampenlicht, verschafft ihnen einen Platz auf der (gesellschaftlichen) Bühne.
Thomas Gabriel wandte sich mit seinem Anliegen an Diözesancaritasdirektor Thomas Domnick, der stellte die Kontakte zur Caritas in Offenbach her. Deren Leiterin, Anette Bacher, war direkt von der Idee begeistert, hat doch der CV Offenbach seinen Arbeitsschwerpunkt, verbunden mit langjährigen Erfahrungen und zahlreichen Projekten, in der Beschäftigung und Qualifizierung Langzeitarbeitsloser. Das gelbe Haus der Initiative Arbeit im Bistum Mainz war direkt mit im Boot, Geschäftsführer Markus Hansen sieht im Musical genau die richtige Form "dieser Hartz IV Welt eine Stimme zu geben". Hansen wird sowohl Kooperationspartner als auch Akteur, er spielt Querflöte in der Band.
"Im Musical werden prekäre Themen kurzweilig dargestellt" sagt Bacher und sieht darin sowohl Herausforderung als auch die große Chance das Thema Langzeitarbeitslosigkeit ins Bewusstsein zu rücken.
Die Proben für das Musical starteten vor einem Jahr. Die ursprüngliche Idee des Initiators Thomas Gabriel war es, möglichst viele Darsteller, die selbst Hartz IV beziehen, für Chor und Solistenrollen zu gewinnen. Schließlich konnte ein Drittel der insgesamt etwa 40 Sänger und Sängerinnen von der Zielgruppe selbst besetzt werden. Ihre Langzeitarbeitslosigkeit ist für die Betroffenen vielfach schambesetzt, vielen fehlt das Selbstbewusstsein und der Mut,mit ihrer Biografie auf die Bühne zu gehen. "Aber es gibt auch Einige die sagen, dass das was mit ihnen gemacht wird, eine echte Sauerei ist und die gehen auf die Bühne, und das ist wirklich ein wahnsinniger Erfolg" so Anette Bacher.
Die Story des Musicals: Sieben Langzeitarbeitslose warten gemeinsam auf dem langen Flur der Arbeitsagentur auf ihren Termin. Da sitzt u.a. die alleinerziehende junge Mutter, deren drei Monate altes Baby ein "akutes Vermittlungshemmnis" darstellt. Dem schnieken Rechtsanwalt Felix, der erstmals hier sitzt, wird von den Wartenden direkt jede Arroganz genommen: "Hier ticken die Uhren anders, wenn Du Deinen Job verlierst, bist Du der Arsch."
Schließlich verkündet die Sachbearbeiterin des Amtes den Wartenden, dass sie alle für ein Beschäftigungsprogramm ausgewählt sind und gemeinsam einen musikalischen Beitrag einstudieren und auf die Bühne bringen sollen. Nach langen Proben folgt die Ernüchterung, aus dem Auftritt wird nichts, die Gelder für das Beschäftigungsprogramm wurden eingestellt. "Wir werden vom Nichts in Maßnahmen geschoben und von dort wieder zurück ins Nichts", singt der Chor. Aber so lassen sie sich dieses Mal nicht bezwingen, gemeinsam üben sie weiter und bringen ihr eigenes Stück auf die Bühne, den Schlusssong des Musicals "Die Stimme ist da, sie zu erheben".
Und so erheben sich bei der Premiere des Musicals am 7. Oktober die 350 Zuschauer in der ausverkauften alten Schlosserei in Offenbach, es gibt stehende Ovationen für die Leistungen von Sängern, Chor und Band.
Das gesamte Musical ist Handarbeit des Caritasverbandes Offenbach: die Texte schrieb deren Berater Holger Senft. In seinen Texten spielt er mit Klischees, bisweilen traurig, zumeist unterhaltsam und mit großem Wortwitz ("hier werden Maßnahmen vergeben, ohne wirklich Maß zu nehmen"). Regisseur Peter Strauss ist ehrenamtlicher Mitarbeiter der Caritas und hat seine Freizeit ins Musical investiert. Wie überhaupt die meisten der Mitwirkenden, die hauptamtlich als Berater bei Caritas oder Gemeindereferentin im Bistumsdienst angestellt sind, ihr Engagement fürs Musical ist ein ehrenamtliches. Und das mit viel Liebe zum Detail, so ist beispielsweise das Programmheft des Abends in Form eines Hartz IV-Antrags gestaltet.
Wann immer es Schwierigkeiten in den Proben und darüber hinaus gab, Thomas Gabriel war sich zu jedem Zeitpunkt sicher, das Stück erfolgreich auf die Bühne zu bringen "Musik hat eine unglaubliche Kraft. Ich wusste, jeder Schauspieler, jeder Sänger kämpft um das Stück, bringt er doch ein Stück seines Lebens zur Aufführung", so Gabriel.
Am Ende des erfolgreichen Premiereabends resümmiert Diözesancaritasdirektor Thomas Domnick:
"Randthemen ins Bewusstsein bringen, Betroffene beteiligen, die Arbeit im Sozialraum und das Miteinander von Ehren- und Hauptamt, das ist der Kern von Caritasarbeit." Ein Abend, der ins Herz trifft und sei es ins gebrochene Herz.
Text und Fotos: Marie-Christin Böhm